Jack zieht los
Jack war keine gewöhnliche Wühlmaus.
Er lebte tief im Herz von Texas, in einem kleinen Bau unter einem Busch aus silbrigen Salbeiblättern, irgendwo zwischen staubigen Holzplanken, klappernden Windrädern und dem Summen hitzeglühender Grillen. Die Sonne meinte es dort nie gut mit dem Pelz, aber Jack mochte das. Denn Jack war eine Maus mit Haltung. Und mit einem Halstuch.
Sein Garten war sein Königreich. Dort wuchsen wilde Minze, Turk’s Cap, ein paar halbvergessene Maisstängel und eine schiefe Solarleuchte, unter der es sich herrlich schlafen ließ. Die Tage waren heiß, die Nächte sternenklar. Und Jack war zufrieden. Zumindest fast.
Denn Jack hatte etwas, das kribbelte. Nicht im Pelz, im Herzen. Ein Jucken, das keine Blume stillen konnte. Ein leises, aber hartnäckiges Gefühl von: Da draußen wartet noch was.
Verwandte, Tulpen und Sehnsucht
Manchmal kamen Briefe. Oder besser: Erdbrocken mit Nachrichten.
Von entfernten Verwandten, Cousins, Cousinen, deren Namen klangen wie Landschaften.
Eine davon war June, eine reisende Feldmaus, die sich „Tulpenflüsterin“ nannte. Sie hatte einst Europa gesehen, hatte von Oldenburg gesprochen.
„Saftig grün, Jack. Und Tulpen, die duften nach Abenteuer. Und Menschen, die Fahrräder fahren, als wären es fliegende Teppiche!“
Jack war hin und weg.
Er grub sich eine Nacht lang durch seine Gedanken. Und am nächsten Morgen hatte er entschieden:
Er wollte nach Oldenburg.
Von Texas nach Bremerhaven
Mit einem winzigen Stoffbeutel, gefüllt mit gerösteten Sonnenblumenkernen und einer Rolle Nagerzahnpasta, machte er sich auf den Weg.
Er nahm den Bus. Dann einen Heuwagen. Und schließlich, heimlich, ein Stück Güterzug bis nach Houston, wo riesige Schiffe wie schwimmende Städte auf das Meer warteten.
Eines davon war auf dem Weg nach Bremerhaven.
Jack kletterte in einen Container mit der Aufschrift “Tulip Bulbs – fragile beauty from the Netherlands“ und dachte sich: Na, wenn das mal kein Zeichen ist.
Die Reise war lang. Der Atlantik war launisch. Die Nächte kalt, das Essen spärlich (außer man mochte Verpackungspappe). Doch Jack hielt durch. Und als er das erste Mal deutschen Boden unter den Pfoten spürte, sog er die Luft ein wie ein Sommelier den ersten Schluck Apfelschorle.
Mit der NordWestBahn nach Oldenburg
In Bremerhaven angekommen, machte sich Jack auf die Suche nach dem Zug. Am Automaten stand RE 18, Richtung Oldenburg.
Er zwängte sich durch eine Ritze in der Tür und kletterte auf einen Fensterplatz. Die Felder flogen vorbei. Bremen, Hude, ein paar Kühe… und dann:
Oldenburg.
Der Zug quietschte, Jack sprang. Und dann geschah’s.
Brodie, Joss und eine Spinne unter dem Käse
Jack stand auf dem Bahnsteig, der wie eine Mischung aus Abenteuerlust und Koffein roch. Und dann sah er sie: Zwei Menschen. Groß, freundlich, irgendwie... vertraut.
Der eine, ein Mann mit Rucksack und zerzaustem Haar, murmelte gerade laut vor sich hin:
„Also heute… hat mir Duolingo gesagt, die Spinne ist unter dem Käse. Ich frag mich echt, wer sich sowas ausdenkt.“
Jack starrte. What?
„The spider is under the cheese?“
Er lachte leise. Das war schräg. Und irgendwie genau sein Ding.
Der Mann, Joss, wie er gleich erfahren würde, sprach weiter mit der großen Frau neben ihm:
„Ich übe jeden Tag. Morgens, abends, am Geldautomaten… irgendwann muss es ja klick machen.“
Und genau da, stand er auch wirklich am Automaten und tippte wild auf dem Touchscreen rum.
Jack grinste. Er wusste: Diese zwei waren es. Seine Leute.
Auf nach Osternburg
Ohne zu zögern warf Jack sein Mini-Lasso, schwang sich elegant an Joss' Ortlieb-Fahrradtasche und ließ sich nieder wie ein König auf seinem Thron aus Regenjacke.
Sie radelten los.
An Restaurants vorbei, deren Gerüche Jack das Wasser im Mäulchen zusammenlaufen ließen. Dann kam die große Eisenbahnbrücke – sie öffnete sich, wie ein Märchenbuch mit Scharnieren. Zwei Flügel gingen nach oben, damit die Boote hindurchkonnten, und Jack dachte:
„Texas hatte Weite – aber das hier hat Stil.“
Sie standen ein paar Minuten an den typischen Oldenburger Bahnschranken („Warum dauert das hier so lange?“ dachte Jack zum ersten Mal). Dann ging es weiter am Drielaker See vorbei. Joss fragte:
„Wollen wir da noch langfahren?“
Brodie nickte. Jack strahlte.
Zuhause. Oder zumindest fast.
Ein letztes Rattern über die Schienen, Halbschranken included, und dann waren sie da: Osternburg.
Ein kleines Haus mit Herz. Ein Garten, der Geschichten versprach. Und zwei Menschen, die ihn vielleicht nicht gleich verstanden, aber ihn hörten.
Jack sog die neue Luft ein.
Sie roch nach Anfang.
„This is it“, flüsterte er.
„I’m home. Kinda.“
Fortsetzung folgt